Dies ist keine History wie all die anderen. Dies ist lediglich die Beschreibung, wie einer der besten Hardrock-Gitarristen ever seine Wurzeln völlig hinter sich gelassen hat. Oder vielleicht doch nicht?
Ich weiß heute nicht mehr, ob ich durch die Soloscheibe „Victims of the future“, die 1983 mitten in die NWOBHM-Hochphase krachte, auf Gary Moore aufmerksam wurde, oder ob dies schon früher (1981) durch den Kauf der ersten Thin Lizzy-LP „Renegade“ geschah, auf der er zwar nicht mitspielte, mir dann aber durch das Nachkaufen der alten Lizzy-Scheiben ins Gedächtnis gerufen wurde. Wie auch immer, Anfang/Mitte der 80er zählte auch ich zu den beinharten Fans des nordirischen Gitarristen und Götterscheiben wie die erwähnte „Victims of the future“ (mit dem genialen Titelsong, akustisch eingeleitet und mit mörderisch fetter Gitarrenwand alles niederstampfend, der gelungenen „Shapes of things“ Coverversion, dem Chartbreaker „Empty rooms“ oder dem gnadenlosen „Murder in the sky“, welches den Abschuß eines Passagierflugzeugs durch die Russen anprangerte - die Amis ließen sich in dieser traurigen Statistik ja auch nicht lumpen) ließen einen den Namen Gary Moore mit Hochachtung aussprechen.
Moore begann seine musikalischen Höhenflüge bei Skid Row (haben nix mit den Sebastian Bach-Stümpern zu tun, die ihre Karriere nach dem geilen „Slave to the grind“ in den Sand setzten) und traf dort zum ersten Mal auf den „darkest son of Ireland“, Phil Lynott. Diesen traf er im Verlauf der 70er noch des öfteren bei dessen Band Thin Lizzy (siehe History an anderer Stelle) und legte damit den Grundstein seines Rufs als Hardrock-Gitarrist der Sonderklasse. Nicht vergessen sollte man allerdings, daß er neben Lizzy u.a. auch bei Colosseum II spielte und die machten alles, nur keinen Hardrock (so wie auch Skid Row keinen Hardrock machten und auch ein wenig Blues-beeinflußt waren), bevor er Ende der 70er nach den Aufnahmen zum legendären Lizzy-Album „Black Rose“ seine Solokarriere startete. Diese hatte zuvor mit der 78er Scheibe „Back on the streets“ und dem gemeinsam mit Lynott eingespielten „Parisienne Walkways“ einen ersten Hit zu verzeichnen, verlief dann aber recht unspektakulär, bevor er 1982 mit „Corridores of Power“ zum ersten Mal so richtig auf sich aufmerksam machen konnte: Die Ballade „Always gonna love you“ lief oft im Radio (und hatte dennoch genug Power, um als Hardrock-Song durchzugehen, der Sound der Platte war fantastisch), dazu kamen das gelungene „Wishing Well“-Cover und Hämmer wie „End of the world“, womit er in der gerade auflebenden neuen Metal-Szene mit ihren Maidens, Priests, Saxons und Accepts gerade recht kam. 1983 folgte dann wie erwähnt „Victims of the future“ und markierte einen neuen Höhepunkt, der auf dem 84er-Live-Doppel-Album „We want Moore“ eindrucksvoll dokumentiert wurde (im selben Jahr konnte sich der Verfasser dieser Zeilen dann beim MOR in Karlsruhe davon überzeugen, wie gut und wie beliebt der Nordire damals war, Moore meisterte die Doppelbelastung Gitarre/Gesang ohne große Probleme).
Noch beliebter machte er sich bei mir, als er für seine 85er LP „Run for cover“ seinem einstigen Weggefährten Phil Lynott unter die Arme griff und diesen ein wenig auf der Platte mitmischen ließ: Heraus kamen ein Top-10-Hit mit „Out in the fields“ sowie der Lynott-Song „Military Man“ und einige Bass-und Backing-Vocal-Parts für den einstigen Lizzy-Leader, der zwar immer mal wieder als Gast bei Moore-Gigs auftauchte und frenetisch von den Fans gefeiert wurde, dem es gesundheitlich aber nicht gut ging, weil er unter Drogenmißbrauch und der Auflösung Thin Lizzys litt und diese daher reformieren wollte. Lynott´s Tod Anfang ´86 machte diese Pläne zunichte und Moore widmete die 86er Platte „Wild Frontier“ seinem alten Kumpel. Mit „WF“ hat Gary Moore eines der besten Hardrock-Alben aller Zeiten aufgenommen, welches zu meinen absoluten Lieblingen zählt und gekonnt keltische/irische Elemente in die harten Songs integriert. Der Titelsong sowie „Over the hills and far away“ zeigen insbesondere auf den ebenfalls auf der CD vorhandenen 12“-Versionen ihre gigantische Klasse und Moore´s wahnsinniges Spiel mit noch genialeren Melodien. „Thunder rising“ paßte auch in die irische Richtung des Albums, wohingegen das Instrumental „The Loner“ sowie das Gänsehautstück „Johnny Boy“ die ebenfalls zu Moore gehörende ruhige und melancholische Seite zeigen. Ein Meisterwerk, das jeder von euch da draußen gehört haben sollte! „After the war“ folgte 1988 und hatte es nicht leicht, daneben zu bestehen, hatte mit dem Titelsong aber wieder einen Hit, daneben mit dem von Ozzy (!) gesungenen „Led Clones“ einen herrlichen Seitenhieb auf Pfeifen wie Kingdom Come parat, die auf peinlichste Weise Led Zeppelin zu imitieren versuchten (heute nimmt deren Sänger Lenny Wolf deutschsprachige Songs auf, war wohl nix mit Led Zeppelin, gell?) und dann mit „Blood of emeralds“ ein Meisterwerk, welches auch auf „Wild Frontier“ hätte stehen können: Einmal mehr von irischen Melodien durchzogen, lassen einem der ruhige Beginn, das Solo sowie die offensichtliche Widmung an Phil Lynott im Mittelteil („...the darkest son of Ireland was standing by my side“, „...and I remember a friend of mine, so sad now that he´s gone“, „...you lived each day like there was no tomorrow and when I looked in your eyes all I could see was sorrow“) bescheren mir auch heute noch feuchte Augen, absolut zeitlos und so genial!!!
1990 dann nahm Moore den „Black Rose“ – Titel „Do anything you want to“ und dessen Textzeile „It´s true, if you really want to, you can do anything you want“ ein wenig zu wörtlich und und schlug mit „Still got the blues“ allen Hardrock-Fans mitten ins Gesicht: Reiner Blues war hier zu hören, wobei man fairerweise sagen muß, daß man sich Teile auch als Nicht-Blueser sehr gut anhören konnte, der Titelsong mit seinem ausufernden Solo gegen Ende (welches im Radio stets ausgeblendet wird) oder „Texas Strut“ waren immer noch sehr gut, einiges auf der Platte jedoch schreckte mich doch schon ab. Auf der darauffolgenden Tour weigerte sich Moore beharrlich, auch nur irgendwas seiner rockigen Vergangenheit zu spielen, mochten die Fans noch so sehr danach verlangen. Richtig schlimm wurde es dann 1992 mit „After hours“, wieder Blues, aber diesmal gab es für mich nichts mehr zum Anhören, ich konnte das schräge Gedudel einfach nicht ausstehen, mochten noch so viele Bluesgrößen mitmachen, mir gefiel die Platte einfach nicht. Auch nicht die 93er-Live-CD „Blues Alive“, die ich mir vor kurzem für 9,99 DM auf einem Wühltisch gekrallt habe, weil wenigstens „Parisienne Walkways“ darauf vertreten war (täusche ich mich, oder ist der Beifall nach diesem Song lauter als bei den anderen?). Moore spielte nach wie vor gigantisch Gitarre, nur eben Blues und damit konnte ich nichts anfangen. Auch bei der kurzlebigem Cream-„Reunion“ unter dem Namen BBM (Jack Bruce, Ginger Baker, Gary Moore) machte er ´94 mit, ohne daß es mich vom Hocker gehauen hätte. 1995 dann seine Hommage an den Fleetwood Mac-Gitarristen Peter Green mit Namen „Blues for Greeny“ und mittlerweile hörte ich mir Moores Scheiben gar nicht mehr an. 1997 brachte dann mit „Dark days in paradise“ eine Abkehr vom Blues und tendierte recht unschlüssig in alle möglichen Richtungen, poppig zumeist und nicht sehr gelungen, bevor es jetzt mit der 99er-CD „A different beat“ auch schon im Titel deutlich wird, daß es hier „anders“ zugeht: Elektronik ohne Ende, eine Katastrophe und ein Witz, daß solch ein Mist auch noch mit „The guitar is back“ angepriesen wird, um die Leute reinzulegen, die sich die Platte im guten Glauben einer Rückbesinnung auf Rocksongs zulegen.
Wie gut Gary Moore mal gewesen ist, wurde mir letztens wieder deutlich vor Augen geführt, als ich die „Very best of“ als limitierte Doppel-CD für läppische 24,99 DM erstanden habe: „Out in the fields“, „Over the hills and far away“, „Wild frontier“, „Run for cover“, „Military Man“, „After the war“, alles ist da (na ja, fast alles, von „Victims of the future“ steht kein einziger Song auf der CD und „Blood of emeralds“ fehlt auch); als ich die Live-Version von „Parisienne Walkways“ zusammen mit Phil Lynott gehört habe, liefen mir die Tränen die Backen hinunter, Lynott singt die berühmte Textzeile „I remember Paris in ´49“ und alles flippt aus, Moore liefert gegen Ende ein Feuerwerk ab, daß einem die Luftgitarre automatisch in die Hand springt, fantastisch, gnadenlos gut und unerreicht. Dazu kommen dann auf der zweiten CD massig Live-Tracks und wieder so ein Tränendrücker, als Moore nämlich vor „Out in the fields“ meint, er hätte noch einen Song nicht gespielt, weil er eine rauhe Kehle hätte und daher habe er einen Freund gefragt, ob er nicht mitsingen würde und das Publikum rastet aus, weil jeder weiß, um wen es sich da handelt. In den Jubel hinein meint Moore „Here he is“, Phil Lynott betritt die Bühne und die Fans rasten aus - so geschehen im September ´85 im Manchester Apollo. Keine 4 Monate später war Lynott tot.
Abschließend bleibt zu sagen, daß jeder Künstler das Recht hat, zu spielen, was er will, ich meine nur, man sollte sich nicht so rigoros über diejenigen Leute hinwegsetzen, die einem die Chance gegeben haben, sich diese Freiheiten zu nehmen. Denn eines ist klar: Moore wurde von den Hardrock-Fans zu dem gemacht, was er ist, nicht von irgendwelchen Blues-Fanatikern oder Pop-Anhängern, die stets nur die Nase gerümpft haben, wenn die Rede auf jemanden wie ihn kam – dessen sollte er sich bewußt sein und nicht so tun, als hätte es die Vergangenheit nie gegeben. Ohne Thin Lizzy würde es seine Platten heute womöglich gar nicht geben und daher sollte man ihm zwar die Freiheit geben, aufzunehmen, was er will, ihn aber mal nachdrücklich daran erinnern, daß es unzählige gute Songs seiner Karriere gibt, die die zahlenden Zuschauer auch live gerne mal wieder hören würden, so wie es alle großen Künstler tun, die live stets einen Querschnitt ihrer Karriere bieten und sich nicht krampfhaft an aktuellen Anbiederungen an neuzeitliche Sounds festhalten.
Frank